Das Potential der Blockchain-Technologie für die Medienindustrie

Ein Interview mit Sebastian Posth

Dieses Interview von Steffen Meier erschien zuerst in der Ausgabe 11/2017 von Steffen Meiers digital publishing report unter dem Titel „Building Blocks for the Content Industry. Blockchain und Verlage.“

Einführung

Blockchain ist eine Zukunftstechnologie und ein Hype, bei dem sich spontane Erwartungshaltung und fachliche Unkenntnis auf eine einzigartige Weise verbinden. Die Faszination ist groß, aber nur wenige Spezialisten wissen, was sich hinter den Begriffen wie Bitcoin oder Blockchain verbirgt: Eine digitale Währung? Eine dezentrale Datenbank? Ein ‚Netzwerk des Vertrauens‘ ohne zentralisierte Institutionen? Die Technologie für das ‚Internet der Werte‘?

Bekannt ist Blockchain vor allem aus der Finanzwelt als Basistechnologie der Kryptowährung Bitcoin. Individuelle Finanztransaktionen zwischen Personen (peer-to-peer) werden in Datenblöcken eingetragen und fälschungssicher in einem verteilten Netzwerk hunderter Computer gespeichert. Dabei ist die Blockchain als offenes Netzwerk konzipiert; jeder kann schreiben und lesen. Zugleich ist die Sicherheit durch eine komplexe Verschlüsselungstechnologie gewährleistet. Eine Kompromittierung der auf einer Blockchain eingetragenen Transaktionen ist faktisch unmöglich. Dies kostete – im wörtlichen Sinne – zu viel Energie. Vertrauen, Verbindlichkeit und Werte einer Blockchain werden also nicht durch Institutionen erzeugt, sondern sie sind das Ergebnis der verteilten Struktur der Blockchain.

Die Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie sind vielfältig. Nicht nur im Bankensektor schätzt (und fürchtet) man ihre Möglichkeiten, Versicherungen und politische Institutionen sehen ebenfalls Potenzial. Auch die Medienbranchen beginnen damit, sich für Blockchain zu interessieren. Bild- und Kunsthandel, News- und Musikbranche verzeichnen zunehmende Zahlen an Startups und Initiativen, und auch auf der vergangenen Frankfurter Buchmesse und auf dem letzten Publishers’ Forum in Berlin gab es Referenten, die Buchverlage zur Beschäftigung mit dem Thema Blockchain aufgerufen haben. In Buchhandlungen und bei Verlagen, z.B. in Arnheim (NL) oder Berlin, können Bücher bereits mit Bitcoin bezahlt werden.

Um die Möglichkeiten der neuen Technologie für die Medienwelt auszuloten, haben sich die Craft AG, die Creations Media GmbH, das iRights Lab und der Unternehmer Sebastian Posth für das Content-Blockchain-Projekt zusammengetan. Finanziell unterstützt wird das Konsortium von der Digital News Initiative, einer Partnerschaft zwischen Google und europäischen Verlagen. Die Projektpartner ZEIT Online, Golem.de, der online-Verlag GmbH aus Freiburg sowie die dpa Infocom liefern zusätzlich fachlichen Input. Gemeinsam wollen die Partner die technischen und juristischen Grundlagen sowie Geschäftsmodelle entwickeln, die es Journalisten, Verlagen und Medien-Startups ermöglichen, ihre neuen Produkte und Services für eine offene Blockchain-Ökonomie zu entwickeln. Wir haben mit Sebastian Posth gesprochen, der sich innerhalb des Projekts mit den möglichen Geschäftsmodellen der Blockchain-Technologie beschäftigt.

Was bedeutet „Blockchain“ für die Medienwelt?

Zunächst bedeutet die Blockchain-Technologie für die Medienwelt wie für jede andere Branche vor allem eines: Vergleichbar mit dem Internet, ist sie eine ziemliche Herausforderung – technisch anspruchsvoll und eine Provokation für etablierte Geschäftsmodelle und Institutionen.

Blockchains fügen dem Internet als Medium der Information eine neue Dimension hinzu. Die eigentliche Innovation der Blockchain ist, dass sie es erstmals ermöglicht, Transaktionen durchzuführen und dabei Werte, wie z.B. Geld oder Besitz, unmittelbar, automatisiert und verbindlich zwischen Personen auszutauschen, ohne dass es dazu eines Intermediärs oder einer zentralen Instanz bedarf. Nicht nur das Geschäftsmodell von Banken oder Notaren wird sich durch die inhärente Mechanik der Blockchain wesentlich verändern, wenn Vertrauen nicht mehr durch Autorität, sondern durch Algorithmen erzeugt wird. Wir sind davon überzeugt, dass die Blockchain-Technologie auch einen großen Einfluss auf den digitalen Handel mit Medienprodukten haben wird.

Wie ist die Idee zum Projekt „Content Blockchain“ entstanden?

Wenn man sich mit der Distribution digitaler Medienprodukte in der Verlagsbranche beschäftigt, kommt man früher oder später an den Punkt, an dem man feststellt, dass die ISBN den Anforderungen an den digitalen Handel mit Inhalten nicht gerecht wird.

Wir haben uns die Frage gestellt, wie ein Content-Identifier ausschauen sollte, der wirklich digital gedacht ist. Wie sollte eine Standardnummer konzipiert sein, die der Granularität der Inhalte und den zahllosen digitalen Formaten, Varianten, Ausgaben gerecht wird? Wie können Inhalte unabhängig von zentralen Institutionen und geschlossenen Systemen über komplexe Vertriebsstrukturen hinweg eindeutig identifiziert und bezeichnet werden? Für diese Anforderungen bietet die Blockchain durch ihre Eigenschaften der Dezentralität und der Verbindlichkeit strukturelle Vorteile. Und deshalb haben wir auf dieser Basis das Konzept für eine neue, digitale Standardnummer entwickelt, die wir vorerst ISCC (International Standard Content Code) nennen möchten.

Eine neue Standardnummer? Wie funktioniert also dieser ISCC? Und wer vergibt ihn?

Der ISCC wird aus den basalen Metadaten sowie dem Inhalt selbst generiert, dadurch unterscheidet er sich wesentlich von existierenden Standardnummern. Jeder, der über einen Inhalt verfügt, kann die entsprechende Standardnummer selbst generieren. Jeder, der mit Inhalten zu tun hat und mit ihnen handeln möchte, kann sie eindeutig identifizieren. Die Standardnummer wird also dezentral erzeugt und kann in verteilten Handelsstrukturen zuverlässig genutzt werden – ohne zentrale Autorität, die die Nummern vergibt, den Zugang zu den Metadaten beschränkt und somit auch die Art der Nutzung der Inhalte kontrolliert.

Die Funktion der neuen, digitalen Standardnummer ist es nicht nur, Inhalte eindeutig zu identifizieren und Titel-Metadaten dezentral verfügbar zu machen. Ferner sollen Rechteinhaber dem bezeichneten Inhalt grundlegende Rechte- und Lizenzinformationen ‘mitgeben’ können – sogenannte ‘Smart Licenses’. Durch sie kann der Handel mit digitalen Inhalten wesentlich vereinfacht werden.

Und was verbirgt sich hinter Smart Licenses?

Jeder, der schon einmal versucht hat, im Internet Lizenzen anzubieten oder zu erwerben, weiß, wie mühselig dies sein kann. Wo kann ich einen Inhalt beziehen? Was kostet mich die Nutzung? In welchem Umfang darf ich einen Inhalt nutzen?

Die Idee hinter den ‘Smart Licenses’ ist es, den digitalen Inhalten ein schlankes Set von Lizenzregeln mitzugeben in Form von einfachen, standardisierten und maschinenlesbaren Rechteprofilen. Der Traum der Automatisierung von Lizenz-Transaktionen wird schon länger geträumt. Blockchains bieten nun die technischen Möglichkeiten dafür, den Vertrieb, die Lizenzierung oder Verkauf von digitalen Inhalten wesentlich zu vereinfachen. Das spart Kosten und erhöht zugleich die Reichweite.

Mal ganz direkt: Where’s the Beef? Wie und wo können Medienunternehmen ihr Geld verdienen?

Ganz allgemein stellt sich ja die Frage, auf welche Arten Medienunternehmen in Zukunft ihr Geld verdienen. Man sieht am Erfolg von Spotify oder Netflix, dass Besitz- und Download-Modelle weniger relevant werden. Mit Blockchains können etablierte Modelle abgebildet werden: Subscription-Angebote oder Download-to-own. Aber auch neue Angebote sind denkbar: Affiliate- und Belohnungssysteme, sogar der Wiederverkauf digitaler Inhalte ist prinzipiell denkbar, bei dem die Rechteinhaber bei jeder Transaktion entsprechend der in den Smart Licenses angegebenen Lizenzbedingungen kompensiert werden.

Wie geht es weiter mit „Content Blockchain“?

Ziel des Content-Blockchain-Projekts ist es, die technologischen Grundlagen zu evaluieren und Basisanwendungen beispielhaft bereitzustellen, auf denen Rechteinhaber ihre Geschäfte entwickeln können. Die kommerziellen Modelle werden wir im Verlauf des Projekts gemeinsam mit unseren Projektpartnern entwickeln und beschreiben.

Dafür haben wir uns eine Reihe von Milestones gesetzt. Im nächsten Schritt arbeiten wir an einem ersten Proof-of-Concept für den ISCC. Zunächst geht es dabei um die Identifikation textbasierter Inhalte. Dafür entwickeln wir eine Open-Source-Software und testen diese gemeinsam mit unseren Partnern aus der Medienbranche. Parallel entwickeln wir die ersten Entwürfe für die Lizenz- und Rechte-Profile der ‘Smart Licenses’. Zudem planen wir den Start einer öffentlichen Test-Blockchain, um Registrierungen von ISCCs und Transaktionen unter realistischen Bedingungen testen zu können.

Wir suchen den Austausch und die Zusammenarbeit und werden unsere Entwicklungen kontinuierlich dokumentieren und die Ergebnisse als Open-Source-Code auf Github sowie online auf der Webseite publizieren.

Sind die Akteure der Medienwelt, speziell klassische Buchverlage, für solche Modelle schon „reif“ für Blockchain-Anwendungen?

Es wird sicherlich noch einige Zeit dauern bis die Geschäftsmodelle auf Basis von Blockchains marktreif sind. Aber ebenso wie das Internet oder das digitale Buch wird die Blockchain-Technologie nicht verschwinden. Es ist wichtig, dass sich Rechteinhaber und Medienunternehmen frühzeitig mit der Technologie und ihren weitreichenden Implikationen beschäftigen. Und wir hoffen, dass wir durch unser Projekt mit Dokumentationen und technischen Entwicklungen dazu anregen und beitragen können, das Verständnis für die interessanten Möglichkeiten zu vergrößern.

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